Erfahrungen in einer chinesischen Firma
In der Zeit vor Corona habe ich mehrere Jahre in einem IT-Projekt in der Deutschland-Niederlassung eines chinesischen Unternehmens als externer Berater gearbeitet und konnte so Einblicke in den Arbeitsalltag und die Unternehmensphilosophie einer chinesischen Firma gewinnen.
In der ganzen Firma arbeiteten gemischte Teams, also Deutsche und Chinesen etwa jeweils zur Hälfte. Die chinesischen Mitarbeiter waren alle noch ziemlich jung, keiner war älter als 40 Jahre, die in IT und Verwaltung haben in der Regel in Deutschland studiert und konnten daher deutsch in Sprache und Schrift.
Üblicherweise engagieren mich deutsche mittelständische Unternehmen, die zum Teil noch familiengeführt sind. Da ist es zum Beispiel üblich, dass der Inhaber in der Kantine mit seinen Beschäftigten zu Tisch geht und sich mal hier und dort hinsetzt und sich in der Mittagspause nach dem Stand der Dinge erkundigt. Erfolgreiche deutsche mittelständische Unternehmen, häufig Hidden Champions in ihrer Branche, zeichnen sich durch die Konzentration ihrer Tätigkeit auf eine Kernkompetenz, kurze Kommunikationswege, Stammpersonal und eine Verbundenheit der Belegschaft mit der Firma aus.
Die Unternehmensphilosophie des chinesischen Unternehmens war jedoch eine ganz andere. Den Werksleiter bekam man praktisch nie zu sehen. Er speiste in einer separaten Kantine, nur die Spitzenmanager oder wichtige Kunden hatten Zugang zu ihm. Nicht nur das, ein persönlicher Koch bereitete die Speisen nur für ihn und seine Gäste. Auf Dienstreise begleitete ihn sein Koch und kochte für ihn in Apartments und Suiten ausgesuchter Hotels.
Zu Beginn meines Projekts wurden die Produktionshallen einschließlich Lager eingerichtet und wir bildeten die betriebswirtschaftlichen Prozesse in der IT ab. Ich war erstaunt, dass die meisten Chinesen kaum älter als 25 Jahre waren, die die Produktionshallen mit Maschinen, Fördertechniken und einem Lager füllten. Ich fragte mich, wie kann ein 25jähriger langjährige Erfahrungen im Materialfluss einer Fertigungslinie mitbringen? Hier braucht es jahrelanges Know How, denn man wird ständig mit baulichen Gegebenheiten konfrontiert, wo spontane Kreativität gefragt ist, den Materialfluss unter den gegebenen Randbedingungen sicherzustellen.
Deutsche Firmen, die an fremden Standorten neue Produktionslinien aufbauen, schicken dort üblicherweise ihre altgedienten Hasen hin und belohnen sie mit üppigen Auslandszulagen. Nicht nur dass die Chinesen alle ziemlich jung waren, es gibt so gut wie keine Stammbelegschaft. Man sagte mir, dass es in China üblich ist, dass man nach 5 Jahren die Firma wechselt. Das soll Betriebblindheit vorbeugen und das firmeninterne Wissen nicht in bestimmten Köpfen konzentrieren.
Chinesische Firmen scheinen sich sehr vor dem Ansammeln von Know How beim Personal zu fürchten und dass so Know How nach außen dringt und womöglich woanders kopiert wird. In der unternehmensinternen Kommunikation geht man daher sehr restriktiv vor. Das fängt damit an, dass viele Mitarbeiter, selbst in der IT, kein Firmen-E-Mail-Account haben. Sie kommunizieren daher in der Regel über Google. So landet dann alles gleich aus erster Hand beim Amerikaner.-)
Arbeitet man in deutschen Firmen in der Regel problemlösungsorientiert (so war es jedenfalls bis vor kurzem), d.h. Probleme werden abteilungs- und fachübergreifend besprochen und gelöst, so arbeitet der chinesische Mitarbeiter doch ziemlich isoliert in seinem Tätigkeitsgebiet. Probleme werden auch gern ignoriert, denn dann würde man sich ja bloßstellen, man hätte sein Gesicht nicht gewahrt.
Einige Mitarbeiter der IT teilten mir mit, dass sie gern in Deutschland bleiben möchten. Sie sagten, wir wissen es wahrscheinlich gar nicht zu schätzen, dass wir auf einer Insel der Glückseligen leben. Sie meinten, die ganze europäische Lebensart entspricht der Natur des Menschen mehr als die chinesische/asiatische Lebensweise. Sie schätzen vor allem das hohe Maß an individueller Freiheit, das wir genießen, in China sei man nur ein anonymes Rädchen im großen Getriebe. Ein Mitarbeiter sagt mir, dass schon allein die freie Fahrt auf deutschen Autobahnen für ihn ein Grund sei, um hier zu bleiben. Er liebt seinen BMW und die ganzen Ausflüge mit ihm durch ganz Europa.
Die Chinesen schätzen sehr das Flair unserer Städte, die Gemütlichkeit der Biergärten, die Infrastruktur zum Radfahren, die abwechslungsreichen Landschaften, die saubere Luft, das hohe Maß an Umwelt- und Naturschutz, unsere Kirchen mit dem Läuten der Glocken, unsere Konzerte mit klassischer Musik.
Wie schon erwähnt, meine Erfahrungen stammen aus der Vor-Corona-Zeit. Seitdem hat sich bei uns auch vieles zum Negativen in Richtung totalitärer Tendenzen entwickelt. Wir sollten aber gerade deshalb das Gute an unserem Land und unserer Kultur bewahren, für das wir viele Jahre im Ausland beneidet wurden und vielleicht auch noch werden. Und letztendlich sollte das auch einem jeden zu denken geben, der meint mit dem Auswandern in ein fremdes, noch dazu kulturfremdes Land wird er glücklich. Nein, man kann sein deutsches Wesen nicht abschütteln. Ich jedenfalls glaube, ich würde in Asien eingehen wie ein Primelpott.
Es lohnt sich, schon aus Verantwortung vor unseren Ahnen, unser Land der Dichter und Denker zu erhalten und wieder zu neuen Höhen aufsteigen zu lassen.
Gruß Plancius
--
"Natürlicher Verstand kann fast jeden Grad an Bildung ersetzen, aber keine Bildung den natürlichen Verstand." ARTHUR SCHOPENHAUER