Unsere...

Andudu, Donnerstag, 11.05.2017, 22:48 (vor 2736 Tagen) @ nvf332741 Views
bearbeitet von unbekannt, Donnerstag, 11.05.2017, 23:17

Rührt die (verleugnete) Meinungsdiktatur womöglich aus dem Verzicht der
Regierungen auf offenen und überzeugten Gewalteinsatz?

... Regierung setzt doch Gewalt ein, was sonst ist die Polizei? Die öffentliche Ordnung muss gewährleistet sein, sonst gibt es auch keine Meinungsfreiheit (leider ist das nur Voraussetzung, keine Gewähr).

Diese Vermutung kam mir bei der Lektüre eines Aufsatzes von Kant
("Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?"), und ich meine, dass er
für das Forum einen relevanten Beitrag liefert:
" ... Aber auch nur derjenige, der, selbst aufgeklärt, sich nicht vor
Schatten fürchtet, zugleich aber ein wohldiszipliniertes zahlreiches Heer
zum Bürgen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat, kann das sagen, was ein
Freistaat [..ohne König] nicht wagen darf: räsonniert, soviel ihr
wollt, und worüber ihr wollt, aber gehorcht!
..."

Das scheinbare Paradox ergibt sich aus Meinungsfreiheit vs. gehorchen.

Dazu muss man den Hintergrund sehen. Kant wurde vermutlich von der frz. Revolution und insbesondere von der Terrorherrschaft Robespierres stark beeinflusst. Robespierre hatte die Macht, war aber kein Adliger, was für die damalige Zeit, na ja, halt eine Revolution war :-)

Das Geschwafele von der Gleichheit usw. war ebenso unerhört für die damalige Zeit, in der noch Gottesgnadentum angesagt war, kann aber kaum verdecken, dass die Revolution weder demokratisch noch rechtsstaatlich war. Sie war (ähnlich wie später die Kulturrevolution in China) größtenteils Terror und endete in einer Diktatur. Einer weltlichen bzw. nicht-adeligen.

Diesen widersprüchlichen Zustand, großzügige Sprüche auf der einen Seite, gnadenlose Gewalt gegen Andersdenkende andererseits, beschreibt Kant m.E. nur. Eine Demokratie, eine direkte oder auch nur eine kastrierte, parlamentarische, wie unsere, konnte er sich vermutlich gar nicht vorstellen. Diese kennzeichnet (oder sollte es zumindest) ja gerade, dass das "räsonieren" rückwirkt in die Politik, dass "gehorchen" (zumindest in der Folge) also obsolet wird. Womit sich das Paradoxon auflöst...

Wenn diese Paradoxie so stimmt, dann ist es die Angst der Regierungen,
klare Grenzen zu ziehen, die uns derzeit plagt.
Die Amerikaner sind überfordert mit der Verwaltung Deutschlands, und die
Deutschen selbst sind dieser Aufgabe als moralische Musterschüler
entwöhnt.
Klare Grenzen bedeuten auch klare Komfortgrenzen, die Wohlstandsabonnenten
offenbar nicht mühelos beizubringen sind.
Ohne klare Kante vom Staate her scheint es aber nicht zu gehen. Der Staat
verweigert sich seiner offen rahmengebenden Aufgabe (indem er sich hinter
Wirtschafts- und Geldpolitik versteckt).

Dort schafft er schon Rahmen, nur nicht zu unseren Gunsten (deshalb versteckt man sich).

In parlamentarischen Systemen geschehen wichtige Änderungen auch sehr träge und mit Jahren Verzögerung, in unserer schnelllebigen Zeit ein Problem.

Dazu kommt die Korrumpierbarkeit der Parteien und Funktionäre, ihre Weltfremdheit, die Dysfunktionalität des Parteienprinzips usw.

Die Regierung zieht (oder versucht es) schon sehr deutliche Grenzen um ihre Ideologie... aber die Ideologie ist halt mittlerweile ziemlich schräg und will Meinungsfreiheit gar nicht. Die Nazis und Kommunisten zogen ja auch deutliche Grenzen, in dieser Tradition befindet sich auch z.B. ein Maas...

Mit dem Geld einher geht die süße Illusion, dass es ohne Grenzen wirksam
sei, es also aus sich selbst heraus etwas wert sei.

So lange es frei konvertierbar und die Schuld lokal abgesichert ist, trifft das ja auch zu. Das ist schon ein Problem, aber eines auseinandertriftender Weltbilder. Globalisten vs. lokal gebundene Schuldner.

Aus diesem Grunde frage ich mich, ob die Wirksamkeit des Geldes eher in
Vertrauensbereitschaft gemessen werden sollte, anstatt in physisch
vollstreckbaren Zwängen (d.h. Schulden oder Steuerzwänge etc. wie der
Debitismus lehrt). Andernfalls finge man sich mit Kant eine
Gesinnungsdiktatur ein, à la mitmachen dürfen alle, aber nur, wenn sie
Geld auch als Zwang ansehen (und sonst wird auf sie Zwang angewandt).

Meines Erachtens versteigst du dich da philosophisch etwas. Machen wir einen Realitätscheck: wen, der Geld nicht als "Zwang" ansieht und deshalb unter Druck gesetzt wird, kennst du?


Nachtrag: mir kommt es eher sogar genau umgedreht vor. Die Meinungsdiktatur geht von Leuten aus, die glauben, dass Geld (etwa in humanistischen Fragen) keine Rolle spielen darf. Sie wird angefeindet von Leuten, die dieses Geld aber bezahlen und mit ihren Schulden tragen sollen.

Da kann das Schuldgeld aber nichts dafür, jedes Geldsystem ist ja vor allem da, um Ressourcen zu verteilen, etwa Arbeitskraft und Rohstoffe. Da diese prinzipiell begrenzt sind, würde zu freizügiges Verhalten immer Protest hervorrufen. Egal ob man Lebensmittelmarken, Gold oder halt Schuldscheine verschenkt...


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