Neutralität

Weiner, Freitag, 20.01.2017, 17:04 (vor 2882 Tagen) @ Andudu3723 Views
bearbeitet von unbekannt, Freitag, 20.01.2017, 17:33

Hallo Andudu!

Ein Europa der Vaterländer, mit einem starken eigenen Verteidigungsbündnis und ohne geostrategische Ambitionen, gefiele mir persönlich am besten.

Viel dringender wäre eine Demokratisierung, denn mit dieser sind diese wahnhaften geostrategischen Spielchen viel schwerer. Erst recht, wenn der Souverän "Neutralität" verordnet und damit die mit "den dicken Eiern" zurückpfeift.

Das Erstere könnte der von mir zitierten Bestrebung Bismarcks in den damaligen (analogen) Konstellationen entsprechen.

Bismarck war beispielsweise streng gegen Gebietserwerb (sog. Diktat Kissingen 1877), und hat die Kolonialgeschichten (Dt. Südafrika etc.) eigentlich nicht gewollt. Dementsprechend sollte Europa heute, wie Du richtig sagst, ebenfalls auf geostrategische (Macht-) Ambitionen verzichten, und zwar am besten ab morgen schon (Ende Afghanistan, Syrien, Mali etc., Ende Konfrontationsschiene Russland).

Neutralität ist natürlich ein schnell hingeworfenes Wort, aber man muss sie auch durchhalten (siehe das inkonsequente Austria ...) und genau definieren. Bismarck verfolgte damals, auf D gemünzt, " eine politische Gesamtsituation, in welcher alle unser bedürfen und von Koalitionen gegen uns abgehalten werden". Ist ein bisschen mehr als Neutralität. Ist eigentlich Bindung. Wurde in den 1970ern und 1980ern wieder aufgegriffen in der Ostpolitik, KSZE, Wandel durch Handel etc. Ist heute komplett verloren.

Ja, die Neutralität muss bewaffnet sein. Trump wird vermutlich an der NATO-Schraube drehen, aber die Europäer werden wohl nur jammern - statt dass sie konsequenterweise die Sache in die eigene Hand nehmen. Letzteres würde Geld kosten, und braucht außerdem Know How, das hier aktuell nicht vorhanden ist - und sich eben beides mit "neokonservativer" Kleinstaaterei nicht organisieren lässt.

Notwendigkeiten: Du musst atmen. Und die Völker wollen futtern. Und es gibt, nicht nur unter Dinosauriern, einen systemischen Zwang, eine offene Option zur Größe. Die in der Abteilung Säugetiere waren anfangs kleine Mäuse, überlebten das Inferno, aber aus denen sind inzwischen auch Elefanten, Giraffen und Wale geworden. Einige noch größere Säugerspezies sind inzwischen sogar, weil zuu groß, schon ausgestorben. Damit das uns (wieder politisch gesehen) nicht auch widerfährt, muss man dem Größenwahn ins Auge schauen und so lange wie nur möglich gegensteuern, etwa mit Hilfe dessen, was Du 'Demokratisierung' nennst.

Neben diesen systemischen Zwängen gibt es gesetzesgleiche zyklische Strukturen in den historischen Entwicklungsprozessen. Ich werde meine kryptischen Bemerkungen hierzu bei gegebener Zeit aufklären. Zu wissen, was kommt, ist gefährlich. Aber man muss sich eben auch um diese Zusammenhänge bemühen, damit man weiß, welchen Handlungsspielraum man überhaupt hat. Der besteht nun wirklich mehr nicht darin, wieder neue Mauern zu errichten (gab's im Mittelalter, also vor dem Nationalstaat, um jede größere Stadt!!) oder vaterländische Flaggen aus dem Schrank zu holen.

Wir haben komplexe Identitäten, die sich wie Schuppen übereinander schichten: Familie/Freundeskreis/Geschäftspartner, die Gemeinde, die Region, der Staat, Europa/Abendland.

Zuerst aber mal ganz Mensch sein!

Grüsse, Weiner


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